In seinem letzten Werk brachte Jacques Offenbach den romantischen Dichter E.T.A. Hoffmann als Opernfigur auf die Bühne. Er zeigt, wie die tiefgreifende Krise, in die sein Protagonist nach seiner Trennung von Stella, einer gefeierten Künstlerin, gerät, auch kreative Energie freisetzt: Als ob er dieses Scheitern seiner romantischen Beziehung erklären wollte, improvisiert Hoffmann die “Erzählungen”, die den Titel von Offenbachs Oper tragen, und in denen Stella in der Gestalt von drei verschiedenen Frauen erscheint. In diesem Interview gibt die französische Regisseurin Mariame Clément erste Einblicke in ihre Ansichten zu Les Contes d’Hoffmann.
Wer ist der Protagonist, dem wir in Offenbachs farbenfrohem “opéra fantastique” begegnen? Tatsächlich ist Hoffmanns wahre Identität die zentrale Frage bei der Inszenierung von Les Contes d’Hoffmann. Die Herausforderung besteht darin, die Hauptfigur zu verstehen und zu erkennen, was sie uns mitteilen will. Sicher ist, dass Hoffmann – wie sein reales Vorbild – ein Künstler ist und natürlich der Autor der Erzählungen ist, die wir in den drei zentralen Akten sehen. Ungewöhnlicherweise tritt Hoffmann auch als aktive Figur in diesen Erzählungen auf. Dadurch vermittelt das Stück die Vorstellung, dass jeder Künstler sich selbst, sein eigenes Ego, in seinen Werken erzählt. In meiner Inszenierung möchte ich erforschen, wie Kunst und Leben in diesem konkreten Fall miteinander verflochten sind. Dabei werde ich die drei Erzählungen mit individuellen Stationen aus Hoffmanns Biografie als Künstler verknüpfen.
Die Erzählungen sind allesamt unglückliche Liebesgeschichten, in denen Hoffmann sich als “Opfer” der jeweiligen weiblichen Protagonisten darstellt…Die Haltungen gegenüber Frauen, die in den Figuren von Olympia, Antonia und Giulietta zum Ausdruck kommen, sind aus heutiger Sicht nicht unproblematisch: Wir haben eine Puppe, eine Künstlerin, die sich nicht ausdrücken darf, und eine Kurtisane – mit anderen Worten, eine Hure. Die drei Frauen in den Erzählungen sind, wie Hoffmann seinen Zuhörern mitteilt, alle in der “realen” Frau der Rahmenerzählung enthalten, also in Stella, zu der Hoffmann trotz ihrer Trennung noch immer zu lieben scheint. Strukturell sind Olympia, Antonia und Giulietta reine Projektionen von Hoffmann, eine Fantasie des Autors. Es ist mir jedoch wichtig, diesen Frauen – oder dieser einen Frau – ein eigenständiges Leben zu geben und sie nicht nur als Projektionen darzustellen.