Seit das Konzept vor etwa fünfzig Jahren entdeckt wurde, ist es niemandem gelungen, die Materialzeit zu messen. Doch jetzt haben die Forscher in Darmstadt unter der Leitung von Prof. Thomas Blochowicz dies zum ersten Mal geschafft. Es war eine enorme experimentelle Herausforderung, da die winzigen Schwankungen in den Molekülen mit einer ultrasensiblen Videokamera dokumentiert werden mussten. Die Forscher bemerkten jedoch etwas: Sie richteten einen Laser auf die Probe aus Glas. Die Moleküle darin streuen das Licht. Die gestreuten Strahlen überlappen und bilden ein chaotisches Muster aus hellen und dunklen Flecken auf dem Sensor der Kamera. Statistische Methoden können verwendet werden, um zu berechnen, wie die Schwankungen im Laufe der Zeit variieren – mit anderen Worten, wie schnell die interne Uhr des Materials tickt. Dies erfordert äußerst präzise Messungen, die nur mit hochmodernen Videokameras möglich waren, sagt Blochowicz.
Die statistische Analyse der molekularen Schwankungen, bei der die Forscher der Universität Roskilde in Dänemark halfen, ergab überraschende Ergebnisse: In Bezug auf die Materialzeit sind die Schwankungen der Moleküle zeitumkehrbar. Dies bedeutet, dass sie sich nicht ändern, wenn die Materialzeit rückwärts ticken darf, ähnlich wie bei einem Video von einem Pendel, das gleich aussieht, wenn es vorwärts und rückwärts abgespielt wird. “Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Alterung von Materialien rückgängig gemacht werden kann”, betont Böhmer. Das Ergebnis bestätigt vielmehr, dass das Konzept der Materialzeit gut gewählt ist, weil es den gesamten unumkehrbaren Teil der Alterung des Materials ausdrückt. Ihr Ticken verkörpert den Zeitablauf für das betreffende Material. Alles andere, was sich im Material in Bezug auf diese Zeitskala bewegt, trägt nicht zur Alterung bei. So wie metaphorisch gesprochen Kinder, die im Fond eines Autos herumtollen, nicht zur Bewegung des Autos beitragen.