Mehrere hundert Menschen gingen am Montagabend in der deutschen Universitätsstadt Marburg auf die Straße, um gegen eine geplante Buchlesung des extrem rechten österreichischen Autors und Aktivisten Martin Sellner zu protestieren. Lokale Polizeikräfte berichteten, dass etwa 700 Demonstranten sich auf dem zentralen Marktplatz in Marburg versammelten, was Bürgermeister Thomas Spies zufolge noch auf eine “signifikante vierstellige Zahl” ansteigen sollte. Spies von den Sozialdemokraten (SPD) erwartete von den Bewohnern ein “klares Signal” gegen “abstruse Theorien und unmenschliche Äußerungen”. Er betonte, dass eine klare Haltung gegen Rechtsextremismus Teil seines Amtseids sei und kein Platz dafür sein sollte, weder hier noch sonstwo.
Der in Wien geborene Sellner, 35, gilt als Schlüsselfigur der sogenannten “Identitären Bewegung”, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz offiziell als rechtsextreme Bewegung eingestuft wird. Im November 2023 war Sellner Referent bei einem Treffen von Vertretern der deutschsprachigen rechten Szene in Potsdam, bei dem er seine sogenannte “Remigrations” -Theorie vorstellte – einen Plan zur Massenabschiebung von sogenannten “nicht assimilierten” deutschen Bürgern, Asylsuchenden und bestimmten Inhabern deutscher Aufenthaltsgenehmigungen. Das Treffen wurde vom deutschen Rechercheportal Correctiv aufgedeckt, was zu Massenprotesten gegen Rechtsextremismus in ganz Deutschland führte.
In Marburg sollte Sellner am Montagabend aus seinem neuen Buch lesen, in dem er seine Idee eines “Modellstaates” darstellt, in dem er vorschlägt, bis zu zwei Millionen Menschen, insbesondere afghanische Flüchtlinge, umzusiedeln (oder “rückzuführen”). Die Lesung war in einer der Marburger Burschenschaften geplant – deutschen Studentenverbindungen, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen und einige von ihnen weisen ausgeprägt konservative und sogar rechtsextreme Tendenzen auf. Zwei solcher Verbindungen in Marburg, die für ihre Verbindungen zur “Identitären Bewegung” bekannt sind, distanzierten sich von Sellner und erklärten gegenüber dem lokalen Medienportal Hessenschau, dass sie die Lesung nicht ausrichten würden.
Der Stadtrat von Marburg, mit Ausnahme der Abgeordneten der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) Partei, erklärte vor der geplanten Veranstaltung: “Die Universitätsstadt Marburg missbilligt auf das Schärfste, dass Martin Sellner Theorien zur Abschiebung einiger unserer Bürger verbreiten will.” Es nannte solche Theorien “eine Gefahr für unseren Zusammenhalt sowie für Demokratie und Verfassung in unserem Land.” Mehrere Länder, darunter die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich, haben Einreiseverbote gegen Sellner verhängt. Im März erließ ein Gericht in Potsdam ein deutsches Einreiseverbot vor einer früheren Lesung, das der Österreicher jedoch durch eine Eilbeschwerde aufgehoben bekam. Auf Anfrage von Hessenschau wies Sellner Vorwürfe zurück, seine Theorien seien unmenschlich oder eine Bedrohung für den sozialen Zusammenhalt.