Im deutschen Kassel, im Karlsaue Park, ruft eine schlanke Frau in ihren 50ern ihren Wildwaschbär mit dem Namen “Waschi”. An einem späten Sommerabend im Juli wartet sie mit einem Laib Brot. Die nachtaktiven Waschbären haben sich durch die einsetzende Dämmerung geweckt gefühlt und sind dankbar für Futter. Waschi, eine weibliche Waschbärin, und ihr Clan, sind nicht schüchtern, sondern klettern über die Frau, um an das Futter zu gelangen. Innerhalb weniger Minuten versammeln sich etwa ein Dutzend Waschbären um sie herum und hoffen auf einen einfachen Snack.
Diese Waschbären nutzen ihre pfotenähnlichen Pfoten zum Greifen und Erkunden ihrer Umgebung durch Berührung. Die vielen sensiblen Nerven in ihren Pfoten funktionieren am besten, wenn sie nass sind, was erklärt, warum Waschbären oft dabei beobachtet werden können, wie sie sie in Gewässern wie dem Fluss Fulda oder einem der vielen Teiche oder Kanäle in Kassel “waschen”.
Nach Sonnenuntergang übernehmen die Waschbären die Parks und Straßen der Stadt, die von 200.000 Menschen bewohnt wird. Sie klettern aus ihren Tagesschlafhöhlen, die sich in alten Eichen- und Buchenbäumen, Schornsteinen oder Gartenschuppen befinden, und machen die Runde um ihre Lieblingsmülltonnen und Obstbäume. Sie überqueren verkehrsreiche Straßen und gehen dreist in Häuser und Gärten auf der Suche nach Nahrung. Die hohe Population von Waschbären in Kassel hat dazu geführt, dass die Stadt jetzt die “Waschbärhauptstadt Europas” genannt wird.
Waschbären sind in Deutschland eine invasive Spezies und stammen ursprünglich aus Nordamerika. Heute gedeihen sie nicht nur in Kassel, sondern auch in Städten im ganzen Land, mit besonders hoher Dichte in den Bundesländern Hessen und Brandenburg. Genau Bevölkerungsdaten sind unbekannt, es wird jedoch geschätzt, dass hier bis zu 1,5 Millionen Individuen leben.
Seit ihrer Einführung in Deutschland in den 1930er Jahren und ihrer Flucht aus Pelztierfarmen um Berlin herum während des Zweiten Weltkriegs haben sich die Waschbären stark vermehrt und sich in benachbarte Länder ausgebreitet. 2016 setzte die EU den Gemeinen Waschbären auf ihre Liste invasiver Arten, aufgrund wachsender Bedenken hinsichtlich ihres Einflusses auf die heimische Flora und Fauna.