Zusammenfassung:
In den letzten Jahren ist die Anzahl von Einzeltäter-Angriffen durch rechtsextreme Extremisten stark gestiegen, insbesondere im Westen, wo Massenopfer-Angriffe stattgefunden haben, darunter in den Vereinigten Staaten, Neuseeland, dem Vereinigten Königreich und Deutschland. Der tödliche Angriff im Februar 2020 in Hanau, Deutschland, offenbarte, dass der Täter von einer Kombination traditionell rechtsextremer, rassenbasierter und anti-immigrationsbezogener Erzählungen sowie mehreren obskuren Verschwörungstheorien beeinflusst wurde. Dieser Fall verdeutlicht die Notwendigkeit weiterer Forschung zur Schnittstelle dieser Ideen und der Online-Ökosysteme, in denen sie gedeihen, in denen Konzepte wie die “Great Replacement” Theorie, die in Teilen im Manifest des Hanauer Angreifers widerhallten, stark verbreitet werden. Es ist diese übergreifende Idee, die scheinbar disparate Angriffe in einem globalen Netzwerk ideologisch ähnlicher Terrorakte verbindet.
Am 19. Februar 2020 begann Tobias Rathjen gegen 22:00 Uhr einen Schusswaffenangriff in der Midnight Shisha Bar in Hanau – einer Stadt im Main-Kinzig-Kreis in Hessen, Deutschland – bei dem drei Menschen getötet wurden. Danach fuhr er etwa zwei Kilometer in den Stadtteil Kesselstadt, eröffnete das Feuer in der Arena Bar & Cafe und tötete fünf Menschen. Anschließend fuhr er die kurze Strecke zurück zum Familienhaus in der Helmholtzstraße, ein paar hundert Meter entfernt, wo er schließlich seine Mutter erschoss, bevor er Selbstmord beging. In den Stunden nach seinem Angriff stellte sich heraus, dass Rathjen verschiedene Materialien online hochgeladen hatte, die seine rechtsextremen Sympathien offenbarten, aber auch auf verschiedene Nischenverschwörungstheorien Bezug nahmen, die nicht typischerweise mit der extremen Rechten in Verbindung gebracht werden.
Am 13. Februar 2020 hatte er ein YouTube-Konto erstellt, bevor er am nächsten Tag ein Video mit dem Titel “Tobias Rathjen” veröffentlichte, in dem er sich an “Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika” in englischer Sprache wandte und sie direkt vor geheimen unterirdischen Militärbasen warnte, die von geheimen Kräften zur Folter von jungen Kindern genutzt würden. Auf einer persönlichen Website, die im Beschreibungstext des Videos verlinkt war, hatte Rathjen drei weitere Videos in deutscher Sprache hochgeladen, von denen nur zwei vollständig wiederhergestellt wurden, sowie ein 24-seitiges ‘Skript’ auch in seiner Muttersprache, das von vielen als sein Manifest angesehen wird, begleitet von zwei kürzeren Anhängen. In diesen Materialien skizzierte Rathjen sowohl seine Wahrnehmung der “nicht-deutschen” (nicht-weißen) Einwanderung als Bedrohung für das (weiße) deutsche Volk als auch seine Feindseligkeit gegenüber dem Islam und stellte verschiedene Verschwörungstheorien detailliert dar. Entdeckt wurden auch neun Links zu externen Quellen, darunter angebliche Zeugenaussagen und Blog-Beiträge bekannter Verschwörungstheoretiker. Die Mischung aus englisch- und deutschsprachigen Ressourcen, die auf der Website veröffentlicht wurden, und Rathjens Entscheidung, sein erstes Video auf Englisch aufzunehmen, deuten darauf hin, dass er beabsichtigte, ein globales Publikum zu erreichen, und weisen auf die breitere Internationalisierung des rechtsextremen Terrorismus hin, anstatt die Auswirkungen seines Angriffs ausschließlich auf ein deutschsprachiges Publikum zu beschränken.